Ohne Anwesenheitspflicht gechillt die Zeit verbringen
Viele Universitäten haben sich von der obligatorischen Anwesenheitspflicht in den Lehrveranstaltungen verabschiedet. Ob der bürokratische Aufwand der Überprüfung und die Durchsetzung von Strafmassnahmen zu groß war oder die Sinnhaftigkeit angezweifelt wurde, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Auf jeden Fall ist es in diesen Lehrveranstaltungen theoretisch möglich, nur zur Leistungsüberprüfung am Semesterende zu erscheinen. Wenn es sich hierbei um eine große Vorlesung mit Klausur handelt und man sich den Lernstoff mittels Skripte und Vorlesungsaufzeichnungen aneignen kann, ist dagegen auch nicht wirklich etwas einzuwenden. Falls es sich jedoch um Seminare oder Übungen handelt, deren Teilnehmerzahl recht übersichtlich ist, sieht die Sache etwas anders aus.
Theoretisch würde es ja reichen, die erste Veranstaltung des Semesters zu besuchen, Thema und Termin des Referates zu erfahren und dann noch einmal zur Präsentation des Bearbeitungsthemas zu erscheinen. Die übrigen zwölf Mal lässt man sich gar nicht blicken. Dadurch erspart man sich die weiteren Referate der übrigen Teilnehmer und hat mehr Zeit für andere Dinge. Im Extremfall wäre der Dozent jeweils der einzige Zuhörer. Theoretisch ginge das so.
Praktisch macht man sich damit keine Freunde, schon gar nicht bei den Dozenten. So ein Verhalten wird einfach nur als Desinteresse gewertet und als solches registriert. Auch wenn keine Teilnehmerliste herumgeht, wissen die Dozenten der kleineren Lehrveranstaltungen genau, wer da ist und wer wieder fehlt. Die Teilnehmerliste haben sie also im Kopf. Wer nicht da ist, kann auch keine Beiträge bringen, keine guten Fragen stellen oder richtige Antworten geben. Also bleibt im Gedächtnis des Dozenten auch kein positiver Eindruck zurück. Spätestens bei der Notenvergabe wirkt sich dies aus. Referate können meist nicht so objektiv beurteilt werden wie Klausuren oder Multiple Choice Tests. Da kann es vorkommen, dass man als Lehrender zwischen zwei Noten schwankt. Die Tendenz, sich für die schlechtere Note zu entscheiden ist groß, wenn man keine positive Erinnerung an den Studierenden hat.
Es gibt in vielen Studiengängen noch immer Anwesenheitslisten für teilnehmerbeschränkte Lehrveranstaltungen. Oft darf man nur ein bis zweimal fehlen, ansonsten wird der Leistungsnachweis nicht ausgestellt.
„Viele Teilnehmer kommen total zu spät und tragen sich trotzdem noch in die Anwesenheitsliste ein. Manche sind so dreist und fragen am Ende des Seminars den Dozenten, ob er die Liste noch mal rausrückt, damit sie sich eintragen können. Obwohl sie die Hälfte der Veranstaltung gar nicht mitbekommen haben. Ich finde es blöd, dass einige Dozenten dann nachgeben, weil sie schnell wegmüssen und keine Lust auf eine Diskussion haben.“ (Anastasia H., Studentin, 19 J.)
Manchmal lässt es sich im Stundenplan nicht ganz vermeiden, dass sich Lehrveranstaltungen zeitlich überschneiden. Besonders bei zwei parallel studierten Fächern kann dieses Problem auftreten. Dann sollte man unbedingt noch vor der ersten Veranstaltung mit den betreffenden Dozenten reden und die Situation erläutern. Einfach immer eine halbe Stunde zu spät zu kommen oder früher zu gehen, ohne dieses Verhalten zu erklären, würde ein sehr schlechtes Licht auf dich werfen.
Dein Fehlen wird schnell als Desinteresse am Thema der Lehrveranstaltung, an der Person des Lehrenden und an den Beiträgen der Kommilitonen gewertet. Dieser Eindruck kann auch mit einer sehr guten eigenen Leistung nicht ganz ausgebügelt werden.
Auch wenn es verführerisch scheint, die Lehrveranstaltungen zu schwänzen, ohne dass unmittelbare Konsequenzen drohen oder ein Attest vorgelegt werden muss, solltest du dir genau überlegen, ob du dir nicht gerade dadurch extrem schadest. Den Stempel „der hat eh kein Interesse am Studium“ wird man nur schwer wieder los.
Manchmal ist weniger der Wunsch nach Ausschlafen der Grund für geschwänzte Lehrveranstaltungen, sondern eine permanente Überforderung. Gerade Studienanfänger machen häufig den Fehler und packen ihren Stundenplan viel zu voll. Im Laufe des Semesters kommen sie zeitlich dann gar nicht mehr klar und verschaffen sich etwas Spielraum, indem sie nur unregelmäßig an Lehrveranstaltungen teilnehmen.
Auch wenn dir das kurzfristig etwas Zeit verschafft, sollte dir klar sein, dass langfristig damit noch mehr Stress entsteht. In den Lehrveranstaltungen werden Inhalte besprochen, die dir dann bei der Klausurvorbereitung fehlt oder dir entgehen wichtige Hinweise für die Bearbeitung einer Hausarbeit.
„Im ersten Semester dachte ich noch, dass ich so viele Lehrveranstaltungen, wie möglich in meinen Wochenplan quetschen muss. Bis auf die Mittagspause hatte ich jeden Tag von morgens um acht bis abends um sechs Vorlesungen, Übungen und Proseminare. Erst klappte es auch ganz gut, ich konnte von einer Veranstaltung zur anderen gehen und freute mich, dass ich schon im ersten Semester so viele Credit Points sammeln konnte. Was mir nicht klar war, dass ich in allen Lehrveranstaltungen Leistungsnachweise in Form von Klausuren, Hausarbeiten oder Referaten ablegen musste. Nach zwei Monaten war ich derart im Stress, dass ich schon nachts durcharbeiten musste, um alles zu schaffen. Tagsüber hatte ich ja keine Zeit dafür. Ich war völlig fertig und bin zu einem Drittel der Veranstaltungen dann gar nicht mehr hingegangen.“ (Nikolas B., Student, 24 J.)
„Ich kann nur jedem raten erst mal langsam anzufangen. Vieles ist im ersten Semester neu, die Stadt, die eigene Wohnung und neue Leute. Wenn man sich mit dem Studium gleich extremen Stress macht, hat man schon im zweiten Semester keine Lust mehr. Besser ist es, die Studienanforderungen allmählich zu steigern.“ (Hassan T., Student, 23 J.)