Persönlichkeitstest

Persönlichkeitstests in der Berufsberatung – macht das Sinn?

Ein Dilemma, aber gar nicht so selten:

Da steckt jemand im falschen Beruf!

Das kennt jeder:

Der Kellner kommt an den Tisch und kann seinen Gästen bei der Bestellung nicht in die Augen schauen.

Die Lehrerin mit der leisen Stimme und dem gedämpften Temperament schafft es nicht, die Klasse zu bändigen und guten Unterricht zu machen.

Der Büromitarbeiter schickt das dritte Mal in Folge eine E-Mail ohne Anhang raus und steht auch wegen seiner chaotischen Ordnungsstruktur kurz vor dem Rauswurf.

Berufliche Zufriedenheit kommt hier sicherlich nicht auf. Die drei Protagonisten scheinen falsch am Platz zu sein. Hier passt die Persönlichkeit einfach nicht zum Beruf.

Ein Kellner mit viel Extraversion, ein Lehrer mit Durchsetzungskraft und weniger Harmoniebedürfnis, ein Sacharbeiter mit ausgeprägter Gewissenhaftigkeit, das könnte besser passen.

Es wäre also schön, man könnte im Rahmen der Berufsorientierung die eigene Persönlichkeit auslotenund auf dieser Basis Berufsbilder empfehlen oder zumindest ausschließen.

Wie erkunde ich meine Persönlichkeit?

„Wer bin ich?“ gehört zu den wichtigsten Fragen der Philosophie. „Mensch und dann natürlich Individuum und damit einzigartig.“ Die Gesamtheit der Eigenschaften, Denkmuster und Verhaltensweisen sowie Träume und Wünscheformen das, was wir Persönlichkeitnennen. Das ist ein abstrakter Begriff, der bereits mit Worten schwer zu fassen scheint, aber zu beziffern noch schwieriger ist. Lässt sich so etwas wie Persönlichkeit überhaupt vermessen, ohne dabei in Schubladendenken zu verfallen?

An dieser Frage forschen Wissenschaftler schon seit Jahrhunderten. Im Laufe der Zeit sind Hunderte von Persönlichkeitstest entstanden: in der Brigitte-Zeitschrift, im Zeitmagazin, kurz, lang, blumig, sachlich, mit oft Horoskop-ähnlichen Ergebnissen….

Wer einen seriösen, weil wissenschaftlichenTest sucht, kommt um die BIG 5nicht herum.

Was sind die BIG 5?

Das Fünf-Faktoren-Modell mit den Big Five soll bis heute der Goldstandard der Persönlichkeitsforschung sein. Es teilt Menschen in fünf Dimensionen auf einer Skala von 1 bis 100 ein:

  • Offenheit für Erfahrungen– Hohe Werte in diesem Bereich sprechen für ein aufgeschlossenes Naturell und Toleranz. Diese Personen zeichnen sich durch Wissbegierde und Kreativität aus.
  • Gewissenhaftigkeit– Wer in dieser Kategorie punktet, legt Wert auf Disziplin, ist zuverlässig und erledigt Aufgaben mit methodischer Genauigkeit. Dazu gehört auch ein gewisses Maß an Organisationstalent.
  • Extraversion– Extrovertierte Personen sind gerne unter Menschen. Aus der Interaktion mit anderen schöpfen sie Kraft und Inspiration. In der Regel sind sie energisch, gesprächig und durchsetzungsstark. Introvertierte Menschen schöpfen Kraft aus sich selbst. Sie gelten als ruhig, konzentriert und zurückhaltend.
  • Verträglichkeit– Wer sich gut in andere hineinversetzen kann, freundlich auftritt und anderen Unterstützung anbietet, erzielt hohe Punkte auf der Verträglichkeitsskala, wohingegen distanzierte Typen in diesem Bereich weniger punkten.
  • Neurotizismus– Diese Kategorie gibt Auskunft über das Nervenkostüm. Menschen mit hohen Neurotizismus Werten gelten als emotional labil, pessimistisch und können launisch sein. Dem gegenüber stehen zuversichtliche, in sich ruhende Personen.

Was nutzen die BIG 5 für die Berufs- und Studienberatung?
Je nach Branche und Position und Fachrichtung sind bestimmte Eigenschaften besonders gefragt. Es ist kein Zufall, dass Künstler auf der Skala Offenheit ganz weit oben liegen. Wer sich, wie Schauspieler, regelmäßig neu erfindet, liebt die Abwechslung und gilt als besonders aufgeschlossen und ist in der Regel extrovertiert. Mit einem stärkeren Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnungerzielen Arbeitereher geringe Werte in den Bereichen Offenheit und Extraversion.

Der Prototyp des Chefs punktet in den Bereichen Offenheit und Gewissenhaftigkeit, jedoch weniger im Bereich Verträglichkeit. Organisationstalent, Entscheidungsfreude und Durchsetzungskraft sowie visionäres Denken kommen in dieser Position meist vor Mitgefühl und Kompromissbereitschaft.

Allgemein ist in der Berufswelt ein hohes Maß an Gewissenhaftigkeit bei niedrigen Neurotizismus Werten gefragt. Wieso? Solche Ergebnisse sprechen für planvolles, zuverlässiges Vorgehen sowie Stressresistenz – Qualitäten, die für effizientes Arbeiten stehen.

 

Im Rahmen einer Studie von Bergerhoff und Seegers wurden mehrere Tausend Studentenverschiedener großer Fachrichtungen hinsichtlich ihrer BIG 5 untersucht. Dabei kam heraus, dass es signifikante Unterschiedezwischenden fokussierten Fachstudentengibt.

 

Während z.B. die Psychologen und Pädagogen ein besonders hohes Maß an Empathie und Verständnis aufweisen, gefolgt von Sozialwissenschaftlern und Medizinern, zeigen sich z.B.

Ingenieurwissenschaftler und – so die Statistik – auch Mathematiker, Informatiker, Juristen, Natur- und Wirtschaftswissenschaftler überdurchschnittlich unverträglich.

 

Das höchste Maß an Extraversion z.B. zeigen Wirtschaftswissenschaftler, gefolgt von Kommunikations- und Rechtswissenschaftlern, gefolgt von Pädagogen/Psychologen und Mediziner/Gesundheitswissenschaftlern. Schwach zeigen sich in diesem Bereich MINT-Studierende und auch Sprach- und Kulturwissenschaftler sind überraschenderweise im Durchschnitt zurückhaltender und mehr in sich gekehrt.

BIG 5 Prototypen und Forschungsergebnisse in Ehren, aber sollte ich wegen meines BIG 5 Profils nicht den Studiengang studieren, der zu meinen Interessen und Stärken passt? Nur weil ich z.B. überdurchschnittlich extrovertiert bin, allerdings bedeutende technische Kompetenzen und Interessen mitbringe, sollte ich keine Ingenieurwissenschaften studieren?

Nein, hier würde man den BIG 5 zu viel Bedeutung in der Berufsorientierung zuweisen. Hier würde es reichen, den Schüler darüber aufzuklären, dass eventuell der Durchschnitts-Kommilitone nicht ganz auf seiner Wellenlänge liegt. Man könnte zusätzlich den Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen“ in Erwägung ziehen, der mehr extrovertierte Studenten aufweist.

Fazit

Berufs- und Studienorientierung, die rein auf Persönlichkeit beruht, ist i.d.R. unbefriedigend. Die BIG 5allerdings neben Interessen, Motiven, Stärken und Wünschen mit in die Analyse zu integrieren, bereichertdie Studien- und Berufsberatung um eine interessante zusätzliche Perspektive.

 

Hofert, Svenja: Psychologie für Coaches, Berater und Personalentwickler. Belts 2017

https://www.candidate-select.de/blog/high-five-big-five-wer-studiert-was

https://karriereblog.svenja-hofert.de/2016/05/staerken-und-studienwahl-wie-sich-persoenlichkeit-in-der-studienwahl-zeigen/

 

in Studium und Beruf by