Studium und Beruf: Studieren früher und heute

Was hat Bologna mit dem Studium zu tun?

Während sich die heutige Elterngeneration mit Kindern im Studieneintrittsalter noch an entspannte Studienjahre erinnert, in denen jeder nach Lust und Geldbeutel die Studienzeit individuell gestalten und ausdehnen konnte, auch das Partyleben nicht zu kurz kam und eine recht überschaubare Zahl an Pflichtveranstaltungen und Klausuren zu bewältigen war, sieht die Situation ihrer Kinder heute deutlich anders aus. Was genau sich verändert hat und was diese Veränderungen für die heutigen Studierenden bedeuten, lesen Sie hier:

Vor zwanzig Jahren haben sich gravierende Veränderungen in der Studienlandschaft und der Studienorganisation ergeben. 1999 haben 29 europäische Staaten die sogenannte „Bologna-Reform“ unterschrieben, mit dem Ziel, sich in der Hochschulstruktur anzunähern und für die Studierenden in Europa einen einheitlichen Hochschulraum zu schaffen. Nicht nur eine Vergleichbarkeit der Studieninhalte, sondern auch eine Gleichwertigkeit der Abschlüsse sollten für die Studierenden länderübergreifend eine größtmögliche Flexibilität gewährleisten. Die Mobilität der Dozenten und auch der Studierenden sollte gefördert werden und damit der internationale Austausch.

Da Deutschland bis 1999 die Studienabschlüsse Diplom, Magister und Staatsexamen vorsah, war es bis dahin schwierig, von einem Land zum anderen zu wechseln. Während der Studienzeit war es fast unmöglich, da der Studienaufbau in den europäischen Ländern stark variierte. Auch nach dem Abschluss war eine Anerkennung reine Glückssache. Ein Wechsel von Deutschland in ein angelsächsisches Land mit Bachelor-Master-System gestaltete sich äußerst schwierig, da nicht nur die Studiendauer im Vergleich sehr unterschiedlich war, sondern auch die Art der Leistungsnachweise sowie die gesamte Studienstruktur.

 

Was änderte sich?

Die Bologna-Reform lehnte sich an das bereits etablierte angelsächsische Studiensystem an und sah als ersten qualifizierenden Studienabschluss den Bachelor nach einer Regelstudienzeit von 6-8 Semestern vor. Danach folgte eine fachliche Vertiefung mit dem Abschluss Master nach 2-4 Semestern. Daraus ergab sich eine maximale Gesamtstudienzeit von 5 Jahren. Dies war deutlich weniger als die in Deutschland bis dahin vorgesehenen durchschnittlichen Studienzeiten, die nicht selten bei 6-8 Jahren lagen. Ein wichtiges Argument für die Umstellung war daher auch der frühere Berufseinstieg, der besonders von der Industrie angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels begrüßt wurde. Unnötig in die Länge gezogene Studienzeiten sollten der Vergangenheit angehören. So weit, so gut. Die Kehrseite bedeutete aber eben auch stark verdichtete Studieninhalte, modularisierte Strukturen, ein hohes Lernpensum und wenig fachübergreifende, neigungsbezogene Orientierungsmöglichkeiten. Besonders für Deutschland bedeutete die Bologna-Reform einen tiefen Einschnitt in den Studienablauf.

Durch die heutige modularisierte Studienstruktur ergeben sich nur eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten, während der Anteil der verpflichtenden Lehrveranstaltungen und die individuelle Belastung durch Zeit- und Lerndruck deutlich zugenommen hat. Dem gesamten Studium liegt ein Leistungspunktesystem zugrunde, das für ein Bachelorstudium 180 bzw. 210 Leistungspunkte (Credit Points) als Gesamtleistung vorsieht. Diese Punktzahl muss erfüllt werden, um den Abschluss zu erlangen. Ist der Bachelorabschluss dann nach 6 oder in einigen Studiengängen auch 8 Semestern erreicht, entscheidet die Abschlussnote in der Regel darüber, ob und ggf. welcher Masterstudiengang angeschlossen werden kann.

 

Das Masterstudium

Bei der Einführung der Bologna-Reform in Deutschland sollte der Bachelorabschluss den regulären Abschluss für den Berufseinstieg darstellen. Der Masterabschluss sollte nur den besonders leistungsstarken Studierenden vorbehalten bleiben und die Zahl der Masterstudienplätze dementsprechend reduziert sein. Diese Überlegung hielt der Praxis nicht stand. Heute ist in vielen Fachrichtungen ein Masterabschluss obligatorisch, was zu enormen Engpässen bei der Studienplatzvergabe führt. Ein Bachelorabschluss schlechter als 2,5 bedeutet oft eine vergebliche Bewerbung für den ersehnten Masterstudienplatz und viel Frustration und Leistungsdruck für die Studierenden. Während früher ein Vordiplom nur eine Art Zwischenprüfung darstellte, nach der das Hauptstudium in der Regel problemlos fortgesetzt werden konnte, ist heute eine klare Trennung der Studienabschnitte vorgesehen, der jeweils eigene Zugangsvoraussetzungen zugrunde liegen. Ob ein Masterabschluss erreicht werden kann und ob es sich hierbei um die gewünschte Vertiefungsrichtung handelt, kann bei Studienbeginn nicht als sicher angenommen werden. Zurzeit verstärkt sich die Tendenz zum Masterabschluss in allen Branchen und wird in vielen Stellenausschreibungen als Einstiegskriterium definiert. Möglicherweise ergibt sich aufgrund des drastisch fortschreitenden Fachkräftemangels jedoch auch wieder eine umgekehrte Tendenz. Das bleibt abzuwarten. Bis dahin geht die Schlacht um die viel zu geringe Zahl an Masterstudienplätzen weiter.

 

Das Staatsexamen – ein Relikt aus alten Zeiten

Im Vergleich zu den geisteswissenschaftlichen, wirtschaftswissenschaftlichen und naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen hat sich in den Fächern mit Examensabschluss seit der Bologna-Reform relativ wenig geändert. In den medizinischen Studiengängen, der Psychologie, den Rechtswissenschaften und Pharmazie wird bis auf wenige Ausnahmen an den Universitäten in Deutschland auch heute noch das Staatsexamen abgelegt.

 

Universität contra Fachhochschule

Die neben der Universität und der Akademie wichtigste Bildungseinrichtung für ein Studium in Deutschland ist seit Ende der 1960er-Jahre die Fachhochschule. Sie wurde eingerichtet, um den Studierenden auf wissenschaftlicher Grundlage einen Praxisbezug zu bieten. Die anwendungsbezogenen Studiengänge sind auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes zugeschnitten. Vor allem für Studierende, die den sogenannten „Dritten Bildungsweg“ eingeschlagen hatten und nicht über die Allgemeine Hochschulreife verfügten, sondern das Fachabitur abgelegt hatten, sollte diese Studienmöglichkeit eine weitere Qualifikation bieten. Auch heute noch ist der Zugang zu den Fachhochschulen, die sich seit der Bologna-Reform entweder nur Hochschulen oder nach dem englischen Vorbild Hochschulen für angewandte Wissenschaften nennen, mit dem Fachabitur möglich. Das Studienangebot ist mittlerweile erheblich ausgedehnt, lediglich die ausschließlich universitären Fächer wie Medizin, Jura, Lehramt, Geschichte, Theologie und andere eher theoretisch bzw. forschend orientierte Fächer sind ausgeschlossen. Dafür gibt es ein riesiges Angebot an technischen, sozialen und wirtschaftlichen Studiengängen. Der Zusatz zum akademischen Abschluss (z.B. Dipl.- Ing. (FH)) ist seit der Bologna-Reform nicht mehr verpflichtend. Damit soll die Gleichwertigkeit der Abschlüsse auch nach außen hin demonstriert werden. Waren früher teilweise noch erhebliche Gehaltsunterschiede zwischen Fachhochschulabsolventen und Uniabsolventen festzustellen, hat sich heute vieles angeglichen. Das betrifft auch die gesellschaftliche Akzeptanz. Der Fachhochschulabschluss ist heute kein Abschluss 2. Klasse mehr. Die Entscheidung, ein Universitätsstudium oder ein Hochschulstudium aufzunehmen, ist heutzutage viel mehr von persönlichen Präferenzen abhängig, die sich hauptsächlich auf den Praxisanteil im Studium konzentrieren. Auch ein Wechsel ist heutzutage möglich. So kann ein Masterstudium an einer Universität einem Bachelorstudium an einer Hochschule folgen und umgekehrt ebenso. Das verschafft den Studierenden deutliche Vorteile und bessere Wahlmöglichkeiten, auch wenn in der praktischen Umsetzung der Anerkennung von Studienleistungen noch Optimierungsbedarf besteht.

 

Die Qual der Wahl

Der heutigen Elterngeneration wird oft ganz schwindelig, wenn sie einen Blick in die aktuellen Studienportale wirft. War doch die Zahl der Studiengänge früher eher übersichtlich. Man studierte Jura, Medizin, Lehramt, Maschinenbau, Architektur oder ein anderes beliebtes Fach. Ägyptologie oder Philosophie gehörten schon zu den Exotenfächern. Die derzeitigen ca. 19.000 verschiedenen Studienangebote sind eine gigantische, unüberschaubare Menge und täglich kommen neue dazu. Wie soll man bei dieser Auswahlmöglichkeit noch wissen, was das Passende ist? Teilweise ist nicht einmal klar, um was sich es sich hierbei genau handelt. Life Science, Bionik, Cruise Management, Space Master, Gamedesign, um nur einige zu nennen. Diese Studiengänge waren bis vor wenigen Jahren in Deutschland noch völlig unbekannt. Überhaupt hat die Tendenz an Universitäten und Hochschulen zu weiterer Differenzierung und Spezialisierung dazu geführt, dass immer mehr neue, zum Teil stark spezialisierte Studiengänge und auch eine riesige Zahl an Kombinationsstudiengängen (Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftsrecht, Wirtschaft und Philosophie u.a.) entstanden sind. Auf diese Weise sollte die Nachfrage des Arbeitsmarktes nach spezialisierten und auch interdisziplinären Fachleuten befriedigt werden. Bislang ist dieser Trend ungebrochen. Es gibt eigentlich kein berufliches Betätigungsfeld mehr, für das nicht ein spezifisches Studienfach angeboten wird. Das Angebot macht auch vor Freizeitwissenschaften, Puppenspiel oder Kristallographie nicht Halt.

 

Die analogen Zeiten sind endgültig vorbei

Die Bologna-Reform traf zusammen mit der riesigen gesamtgesellschaftlichen Veränderung durch die Nutzung des Internets. Die Möglichkeiten, die damit im Zusammenhang stehen, betrafen alle Lebensbereiche und eben auch den Studienalltag. Von der Online-Bewerbung über internetbasierte Kommunikationsplattformen an den Hochschulen bis zur Onlinerecherche und dem E-Learning. Das Internet ist aus dem Studium nicht mehr wegzudenken und hat viele Anwendungen und Abläufe drastisch verändert. Meist zum Positiven. Durch die Online-Recherche und die Bereitstellung von digitalen Medien hat sich die stundenlange Suche in Bibliotheken deutlich vereinfacht. Auch aufwendige Reisen zu Bibliotheken und Archiven in anderen Städten sind nur noch selten nötig, da mittlerweile die meisten Bestände digital erfasst sind und die Bücher, die noch nicht in digitaler Form vorliegen, per Fernleihe online zu bestellen sind. Auch der Überblick über den internationalen Forschungsstand war niemals vorher so umfassend und schnell zu erlangen. Nicht nur das Internet, auch die Hard- und Softwareentwicklung hat viel verändert. Die Präsentationstechniken werden immer professioneller und einfacher in der Anwendung, ebenso die Textarbeit mit komfortablen Textverarbeitungsprogrammen und die Arbeit mit großen Datenmengen durch immer schnellere Statistikprogramme. Übersetzungsprogramme vereinfachen die Arbeit mit fremdsprachiger Fachliteratur. Dias, Tipp-Ex, Wörterbücher und handgeschriebene Tabellen haben endgültig ausgedient. Die damit gewonnene Zeitersparnis führt jedoch nicht zu mehr Orientierungszeit im Studium, sondern wird zur Voraussetzung, um das straffe Studienprogramm überhaupt bewältigen zu können.

 

Fokussierung statt Orientierung

Der Blick „über den Tellerrand“ ist im heutigen Studienablauf nicht vorgesehen. Eine immer stärkere Fokussierung auf Effektivität und Karriereplan bestimmen den Studienverlauf. Neben der Einhaltung der Regelstudienzeiten bekommen die Leistungsbewertungen und die Arbeitsmarktkompatibilität eine immer größere Gewichtung. Sehr gute Fremdsprachenkenntnisse und internationale Erfahrungen sind bereits für Studienanfänger obligatorisch. Auslandsaufenthalte während der Schulzeit oder direkt im Anschluss (FSJ, Work and Travel, Au-Pair ect.) kann mittlerweile ein Großteil der Studienbewerber nachweisen. Es wird für den Einzelnen immer schwieriger, durch individuelle Leistungen zu punkten. Die Pflichtpraktika und Auslandsaufenthalte während des Studiums sind zwar grundsätzlich zu begrüßen, doch führt die große Anzahl der Bewerber dazu, dass häufig keine Darstellung des Berufsalltags erfolgt, sondern der Praktikumsplatz notgedrungen genommen wird, der nach vielen erfolglosen Bewerbungen übrig bleibt. Echte Berufsorientierung sieht anders aus und war früher deutlich besser zu realisieren.

 

War früher alles besser?

Sicherlich war früher nicht alles besser. Vieles hat sich in den vergangenen 30 Jahren im Studium verändert. Teils zum Positiven, manchmal jedoch zum Nachteil der Studierenden. Der vielleicht größte Nachteil ergibt sich aus dem viel zu eng getakteten Zeitplan und dem modularisierten Aufbau der Studieninhalte. Die Studierenden hetzen durch ihre Studienzeit, ohne die Chance zu haben, sich mit interessanten Inhalten näher zu beschäftigen oder fachübergreifend zu lernen. Die Studienanforderungen binden alle Ressourcen, für individuelle, weniger gradlinige Wege bleibt kein Raum. Die ohne Frage sinnvolle internationale Angleichung und Vernetzung hat insbesondere für Studierende in Deutschland einen hohen Preis gefordert. Gut, dass die heutigen Studierenden die wissenschaftliche Freiheit vor „Bologna“ und eine Studienzeit als persönliche Erkenntniszeit nur aus der Erzählung ihrer Eltern kennen und sie somit nicht wirklich vermissen! Man darf dabei nicht vergessen, dass es vor allem die heutige Elterngeneration ist, die den früheren Zeiten hinterhertrauert. Die heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen lernen, denken und arbeiten anders als die Generation vor ihnen. Sie sind mit digitalen Lebenswelten aufgewachsen, haben schon viel von der Welt gesehen und haben auch zum Faktor Arbeit und Karriere eine andere Einstellung. Die meisten von ihnen kommen mit den neuen maßgeschneiderten Studiengängen prima zurecht und fühlen sich auf den Berufseinstieg gut vorbereitet. Die Eltern sollten jedoch Verständnis dafür aufbringen, dass unter den aktuellen Studienbedingungen deutlich mehr geleistet werden muss und damit sicherlich weniger Zeit zum Jobben, für Familienbesuche, für Partys und Urlaube aber auch für gesellschaftliches oder politisches Engagement bleibt, als das vor 30 Jahren noch üblich war. Dazu kommt, dass das Studieneintrittsalter aktuell deutlich niedriger ist. Wer von den Eltern kann schon von sich behaupten, als 17-Jähriger eine 60-Stunden-Woche mit 10 Pflichtklausuren pro Semester absolviert zu haben? Für die heutigen Dualen Studierenden eine ganz normale Sache.

 

 

 

 

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