Warum nicht jeder Karriereweg durch den Hörsaal führen muss
Du bist im Bachelor, das Studium neigt sich dem Ende zu – und plötzlich stellt sich die Frage: Soll ich noch den Master dranhängen? Oder lieber direkt ins Berufsleben einsteigen? Für viele fühlt sich diese Entscheidung größer an, als sie ist. Denn sie betrifft nicht nur deinen Lebenslauf – sondern auch deine Zeit, deine Energie und deine Vorstellungen vom Leben nach der Uni.
In diesem Beitrag möchte ich dich dabei unterstützen, diese Frage für dich klarer zu sehen – ohne Druck, ohne Klischees. Nur mit dem, was zählt: deine Ziele, deine Werte und dein Timing.
1. Was versprichst du dir vom Master?
Bevor du dich fragst, ob du „einen machen solltest“, frag dich: Warum eigentlich?
-
Willst du tiefer in dein Fach eintauchen?
-
Hast du das Gefühl, du bist noch nicht bereit für den Jobmarkt?
-
Hoffst du auf bessere Chancen im Beruf?
-
Oder hast du schlicht keine Lust, dich schon zu bewerben?
Alle Antworten sind legitim – aber nicht alle führen zum selben Ergebnis. Ein Master ist kein Selbstzweck. Er kann deine Kompetenzen vertiefen, dich spezialisieren, deinen Horizont erweitern. Aber er kann dich auch zwei Jahre aufhalten, in denen du bereits Erfahrung sammeln, Netzwerke aufbauen und Geld verdienen könntest.
2. Was zählt heute wirklich auf dem Arbeitsmarkt?
In vielen Branchen und Berufen zählt heute nicht der Abschluss, sondern was du kannst. Viele Unternehmen stellen gerne Bachelor-Absolvent:innen ein, wenn sie Engagement, Eigenverantwortung und erste Praxiserfahrung mitbringen. Soft Skills, Projekterfahrung, Auslandsaufenthalte oder Werkstudentenjobs wiegen oft mehr als ein zusätzlicher Titel.
Besonders in Bereichen wie Marketing, Medien, IT, Design, Projektmanagement, HR oder Start-ups wirst du nicht nach Titeln, sondern nach Wirkung beurteilt.
Heißt: Du kannst nach dem Bachelor gut einsteigen – und dir den Master später offenlassen. Etwa berufsbegleitend, spezialisiert oder nur wenn du merkst: Jetzt bringt er mir wirklich was.
3. In welchen Fällen ist ein Master sinnvoll?
Ein Master kann sehr sinnvoll sein, wenn du…
-
in die Forschung, Lehre oder einen akademischen Karriereweg willst,
-
in bestimmten Branchen arbeitest, wo er vorausgesetzt wird (z. B. Psychologie, bestimmte Ingenieur-Berufe, Lehramt),
-
ins Ausland möchtest, wo der Master teilweise Voraussetzung für bestimmte Visa oder Anstellungen ist,
-
dich gezielt umorientieren oder spezialisieren willst (z. B. von BWL auf Nachhaltigkeitsmanagement, von Informatik auf KI).
Auch persönliche Gründe können zählen: Wenn du spürst, dass du noch nicht fertig bist mit Lernen, dass du noch Zeit brauchst, dann kann ein Master genau das Richtige sein.
Wenn Du also gerade darüber nachdenkst, ob ein Master für Dich sinnvoll ist, stellt sich auch die Frage: In welchen Unternehmen oder Karrierewegen ist der Masterabschluss wirklich notwendig – und wo nicht?
Die kurze Antwort: Es kommt auf Branche, Struktur und Rolle an.
In klassischen Großkonzernen – etwa in der Automobil-, Chemie- oder Finanzbranche – ist ein Masterabschluss oft ein Türöffner, vor allem wenn Du in ein strukturiertes Traineeprogramm, ins Konzerncontrolling, in die Unternehmensstrategie oder in ein internationales Managementprogramm einsteigen willst. Viele DAX-Konzerne wie Siemens, Bosch oder SAP setzen beim Einstieg in diese Rollen ein abgeschlossenes Masterstudium voraus – manchmal formell, oft aber auch implizit.
Auch wenn Du eine Karriere in der Unternehmensberatung anstrebst, ist der Master fast immer Pflicht – vor allem bei den großen Strategieberatungen wie McKinsey, BCG oder Bain. Dort kannst Du zwar nach dem Bachelor einsteigen, doch für den nächsten Karriereschritt wird in der Regel erwartet, dass Du noch einen Master oder sogar einen MBA machst. Der akademische Abschluss ist hier Teil des Systems.
In bestimmten technologischen Berufen – etwa in der Forschung und Entwicklung bei Airbus, Bayer oder Siemens Healthineers – ist ein Master ebenfalls sinnvoll oder sogar notwendig, vor allem wenn Du komplexe Projekte verantworten oder in Führungsrollen aufsteigen willst. Das gilt auch für einige hochregulierte Ingenieursbereiche, etwa im Maschinenbau oder in der Medizintechnik.
Wenn Du Dich für eine Laufbahn in Ministerien, NGOs, Thinktanks oder internationalen Organisationen interessierst, ist der Master häufig Voraussetzung. In Bereichen wie Public Policy, Internationale Beziehungen oder Nachhaltigkeitsmanagement erwarten viele Arbeitgeber (z. B. UN, EU, WHO, GIZ), dass Du ein weiterführendes Studium mitbringst – idealerweise mit Auslandsbezug.
Und schließlich: Wenn Du später einmal promovieren oder an einer Hochschule unterrichten möchtest, führt kein Weg am Master vorbei. Er ist die formale Eintrittskarte in die wissenschaftliche Welt.
Anders sieht es aus, wenn Du in einem praxisnahen, flexiblen oder dynamischen Umfeld arbeiten möchtest. In vielen Start-ups, Agenturen oder auch in mittelständischen Unternehmen zählt vor allem, was Du kannst – nicht, wie lange Du studiert hast. Auch in Bereichen wie Marketing, HR, Projektmanagement, IT oder Produktentwicklung kommst Du mit einem Bachelorabschluss gut voran – wenn Du Praxiserfahrung, Motivation und Lernbereitschaft mitbringst.
Gerade in der Tech-Branche ist es nicht ungewöhnlich, dass jemand mit einem Bachelor oder sogar als Studienabbrecher:in in eine verantwortungsvolle Position hineinwächst – weil dort Kompetenz, Projekte und Mindset mehr zählen als akademische Titel.
Wenn Du also überlegst, ob Du noch einen Master machen solltest, stell Dir vor allem diese Frage: Passt er zu dem Weg, den ich einschlagen möchte – oder hoffe ich nur, dass er mir mehr Sicherheit gibt?
Ein Master kann Dir Türen öffnen – aber nicht alle Türen brauchen ihn. Wenn Du weißt, wohin Du willst, kannst Du den Master gezielt einsetzen. Und wenn Du noch unsicher bist, ist es völlig legitim, erst einmal in die Praxis zu gehen und später zu entscheiden, ob Du ihn noch brauchst.
Du musst nicht „fertig“ sein mit dem Studium, nur weil der Bachelor endet. Aber Du darfst auch den nächsten Schritt gehen – ohne schlechtes Gewissen, wenn Du spürst, dass der Hörsaal gerade nicht mehr der richtige Ort ist.
4. Wie denken andere?
Viele aus deiner Generation entscheiden pragmatischer. Sie fragen sich nicht: „Was wird erwartet?“ Sondern: „Was bringt mich weiter?“ Der Master ist heute kein automatischer Anschluss mehr – sondern eine Option unter vielen.
Und ja: Viele kehren nach 2–3 Jahren Berufserfahrung noch einmal an die Uni zurück – mit mehr Klarheit, Fokus und einem ganz anderen Zugang zum Stoff. Das ist nicht Umweg, sondern Strategie.
„Ich wollte nach dem Bachelor erst raus in die Praxis. Jetzt merke ich: Ich will mehr Tiefgang – aber diesmal gezielt.“
– Lara, 26, UX-Designerin, die gerade berufsbegleitend ihren Master beginnt
5. Fragen, die dir bei der Entscheidung helfen können
-
Weiß ich schon, wo ich hin will – oder will ich noch entdecken?
-
Will ich jetzt mehr lernen – oder lieber anwenden?
-
Habe ich eine Perspektive auf einen Job, der mich reizt?
-
Fühle ich mich bereit, Verantwortung zu übernehmen?
-
Brauche ich den Master wirklich – oder ist es nur Angst vor dem nächsten Schritt?
Deine Antwort muss nicht perfekt sein. Aber sie darf ehrlich sein.
Fazit
Der Master ist kein Muss. Er ist eine Möglichkeit. Wenn du ihn nutzt, weil er zu dir passt – großartig. Wenn du ihn dir offen hältst – ebenso. Wenn du ihn weglässt – auch gut. Wichtig ist nur: Triff deine Entscheidung nicht aus Unsicherheit, sondern aus Klarheit. Du musst dich nicht beweisen, indem du länger studierst. Du darfst dich entscheiden, den nächsten Schritt zu gehen – wie auch immer er aussieht.
Und vielleicht ist der mutigste Schritt manchmal der, den du nicht aufschiebst.